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Nalleshof

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"...ging ich die Brückstraße entlang. Wahrhaft die seltsamste Straße in der ganzen Stadt. An der einen Seite liegen wunderschöne Villen, an der anderen Seite die kleinen, verwinkelten Gassen jenes Teiles der Altstadt, den man Nalleshof nennt. Neugierig betrat ich eine der Tweten, welche mit jedem Schritt mehr nach Salz und Meer roch. Den gesamten Stadtteil durchweht ein Hauch von Seefahrt und Abenteuer und versetzt damit den Besucher in eine ganz eigentümliche, aufgeregte Stimmung. Wohin man auch hört, dringt der Lärm fröhlicher Zecher schon tagsüber aus den Schenken, wohin man auch schaut, scheinen alle Menschen der Seefahrt verbunden zu sein. Doch hörte ich, daß dies vor allem Seefahrer auf der Durchreise seien, und die Havener sich ganz auf diese eingestellt hätten. Die meisten der unzähligen Pensionen und Herbergen dienen nur diesem Zweck, den Seebären den Auftenthalt an Land möglichst nah bei ihren Kähnen zu ermöglichen.

Voller Neugierde betrat ich denn auch eine der Schenken. Sie hieß "Schipperkrug" und lag in einer Gasse, in der sich eine Kneipe an die andere reihte; allesamt schienen sie gut besucht. Das Bild im Inneren kann ich nur als 'turbulent' bezeichnen: Eine bunt gemischte Versammlung von Seefahrerinnen und Matrosen in geteerten Jacken, mit blauweiß oder rotweiß gestreiften Wämsern und wadenkurzen, aber enorm weiten Hosen drängte sich lärmend um die Theke und die wenigen hohen Tische. Manche sangen, andere debattierten - auf jeden Fall schien ein jeder den anderen übertönen zu wollen. Nirgendwo entdeckte ich einen Hocker oder gar Stuhl, um darauf sitzend in Ruhe einen Wein zu genießen, so wie ich es von daheim gewohnt bin. Der Geruch aus Salz und Schweiß, der den Raum einhüllte, machte mich schwindeln. Dazu der schale Bierdunst und dieses Gewölk aus billigstem Knaster. Das alles muß mich wohl so sehr beeindruckt haben, daß ich offenen Mundes in der Tür stehen blieb. Ein alter Fahrensmann mit einem bunt gefiederten Vogel auf der Schulter, der immerzu "Alles in die Wanten" kreischte, brachte mir daraufhin sofort einen Holzbecher. Darin schwappte eine undefinierbare Flüssigkeit, die er mir mit den Worten "Nimm ein Feuer, das bringt dich auf die Beine, Jungchen!" gab. Ich fügte mich seiner Bitte, aber ich sage Euch, wer so etwas trinkt, der tut auch Schlimmeres..."

(Kaufmann Villmund Rafhorst, 11 n.H.)

Da der größte Teil des Seehafens im Nalleshof liegt und Matrosen nicht gern weite Fußmärsche zurücklegen, steigen hier auch die meisten Seefahrer ab. Das prägt das Bild des alten und verwinkelten, aber zugleich höchst lebendigen und freundlichen Stadtteils, der einen Fremden unweigerlich in Verwirrung stürzen wird.

Die Gassen sind im Nalleshof zwar ähnlich eng und verwinkelt wie die im Orkendorf; auch hier stehen die Giebelhäuser so dicht aneinandergedrängt, daß selten einmal ein Sonnenstrahl in die schmalen Schluchten zwischen den Häuserzeilen fällt, doch die Menschen, die diese Gassen bevölkern, sind von anderem Schlag. So spürt man es unwillkürlich, wenn man das Orkendorf verläßt und den Nalleshof betritt, obwohl die Grenze zwischen beiden Stadtteilen eigentlich nicht genau auszumachen ist. Es mag am Lachen liegen und den fröhlichen Liedern, die bis spät in die Nacht hinein aus den zahlreichen Schenken dringen, an den bunt gekleideten und bizarr tätowierten Seeleuten, die Arm in Arm durch die Straßen bummeln, an den hübschen Jungen und Mädchen, die müßig über das Pflaster schlendern, in dünnen, aufreizenden Gewändem und mit verheißungsvollem Blick, immer auf der Suche nach einem einsamen Seefahrer, dem ein paar Stunden der Leidenschaft seine sauer verdiente Heuer wert sind.

Ja, das Geld sitzt locker in den Nalleshofer Gassen, hier ist nicht der Ort für verkniffene Kreuzerzähler. Wirte, Gaukler, Akrobaten, Tänzerinnen - sie alle leben davon, daß den Seeleuten die Dukaten in den Taschen brennen. Die "Ritter vom Meer der Sieben Winde" halten nichts vom Sparen ("nie nahm ein Seemann seine Geldkastze mit zu Efferd hinab") - so war es schon vor dem Beben, und so ist es auch heute. Nalleshof ist ein Stück des ursprünglichen Havena und wird sich hoffentlich niemals ändern.

Einzig am Hafen steht die Zeit nicht still. Hier wird das Bild geprägt von großen Lagerhäusern und Fuhrhöfen, in denen Waren im Wert von vielen tausend Goldstücken lagern. Auf Kisten und Fässern hocken würfelspielende Schauerleute, die sich ein paar Geldstücke beim Entladen der ankommenden Schiffe verdienen wollen. Dazwischen sieht man wiederum Seeleute aus aller Welt, deren Schiffe entweder gerade eingelaufen sind, oder andere, die nach einer neuen Heuer auf einem der vielen Schiffe suchen.

Die Nalleshofer jedenfalls haben sich ganz auf die Seefahrt eingestellt. Ihr Garethi ist durchsetzt von Begriffen aus der Schiffersprache und Fremdwörtern aus dem Mohischen, Nivesischen, Thorwalschen und allen anderen Sprachen, die irgendwo in Aventurien gesprochen werden. Man sagt den Bewohnern des Hafenviertels nach, sie seien die tolerantesten Bürger ganz Albernias. Das mag stimmen oder auch nicht - auf jeden Fall haben sie schon so viel Merkwürdiges und Seltsames gesehen, daß sie nichts mehr aus der Fassung bringen kann. Nicht umsonst heißt es in Havena "unerschütterlich wie einer aus dem Hof".